Brecht in Asia and Africa 
 
 
Sandra L. Richards. "War Brecht nicht eigentlich ein 
afrikanischer Schriftsteller?: Parallelen Im 
zeitgenossischen Drama Nigerlas." 
 
    Afrikanische Literatur wird meistens als Produkt kolonialistischer 
EinfluJsse verstanden. Sandra Richards mbchte der eindimensionalen 
Vorstellung von Vorbild und Imitation entgehen und stattdessen 
Brechts Einfluf auf afrikanische Schriftsteller als Ergebnis universaler

asthetischer Strukturen beschreiben, die beiden Kulturkreisen zugrun- 
de liegen. Genau darauf berufen sich die einflulreichen nigerianischen 
Autoren Wole Soyinka und Femi Osofisan, die von Richards hier in aller 
Ausfuhrlichkeit vorgestellt werden. 
     Brechtsche Elemente existieren beispielsweise als Spielregeln in 
traditionellen Gemeinschaftsritualen: Ein intensives Zusammenspiel 
zwischen Erzahler und Zuh*rerschaft findet statt, Identifikation weicht 
einer kritisch-distanzierten Partizipation, formelhafte Elemente wech- 
seln mit extemporierten Einw*rfen; das traditionelle narrative Genre des

"Konfliktma*rchens" fuhrt ein moralisches Dilemma vor, das nicht
gel-st 
wird, sondern offen bleibt und somit aktive Reflexion stimuliert. 
Inwieweit hier marxistische Ideologie mitvermittelt wird, ist dabei von 
Fall zu Fall verschieden, wie Richards anhand der beiden Autoren 
beispielhaft demonstriert. Soyinkas Stucke arbeiten zwar formell mit 
episodischen Strukturen, dialektischen Stilmitteln und ambivalenten 
Charakteren, doch beschrankt er sich auf aktuelle Zeitkritik, ohne das 
Kritisierte als Ergebnis historischer Prozesse kenntlich zu machen; das 
Geschichtsbild ist traditionell zyklisch, Soyinka arbeitet innerhalb des

philosophischen Systems der Yoruba Religion, Zeitkritik wird mit Hilfe 
bekannter mythologischer Chiffren und Marchen unters Volk gebracht. 
Seine Adaption der Dreigroschenoper (als Opera Wonyosi) beispiels- 
weise verzichtet auf die Kritik an der burgerlichen Mittelklasse und wird

zur Tyrannenkritik an Bokassa und zum Rundumschlag gegen aktuelle 
Zustande in Nigeria. 
     Femi Osofisan dagegen verla13t die angestammte Ebene der 
 Yoruba-Mythen und setzt sie in materialistische Geschichtsperspektive 
 um. Auch er verwendet das Muster des "Konfliktmarchens", doch
die 
 bekannten Fabeln, Sagen und Orakelspriache werden durch stilistische 
 Verfremdung zur zeitpolitischen Anspielung: Der fiktive Familienkonflikt

 in einer wohlbekannten Liebesgeschichte wird beispielsweise auf 
 aktueller Ebene zum Kommentar auf die ethnischen Spannungen in 
 Nigeria. Um die Ma-rchen und Mythen aus dem tradierten Sinnkontext 
 herauszulosen, werden viele "verfremdende', dekonstruktivistische 
 Szenentechniken angewendet: Die szenischen Konventionen des 
 BOhnen/Zuschauerraumes werden aufgehoben, fest definierte Funk- 
 tionen von Autor, Spielleiter und Schauspieler verschwimmen, ebenso 
 wie die Schauspieler abwechselnd Personen und Requisiten (1) 
 darstellen oder durch ihr Erscheinen das Szenenbild konstituieren. Der 
 K*nstler und das Kunstwerk sollen entmythisiert, ihre oft zu beobach- 
 tende Funktion als Apologeten der Herrschenden entlarvt werden. 
 
 
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