Brecht in Asia and Africa 
 
 
politisches Engagement mehr. Man erwartet bloBe Unterhaltung oder die 
Flucht in eine exotische Welt. Einige Underground-Theater, die fruher 
zumindest eine kritische Haltung zur etablierten Gesellschaft hatten, 
dienen nun nur noch der Flucht in eine kuriose Welt. Der Eskapismus, 
der zur Erhaltung der jetzigen Zustande beitraigt, erschwert auch 
momentan die Aufnahme Brechts. Zwar gibt es im westlichen Theater 
viele Arten des sinnlichen Theaters, ob sie sich nun Theater der 
Korpersprache, Theater der Vision, Theater mit Urerlebnissen oder wie 
auch immer nennen. Die Besessenheit, Obsession mit okultischen 
T6nen, oder seichte Slapsticks, die jetzt in unserem Theater Mode sind, 
haben jedoch nicht die Harte eines Artaud, Grotowsky oder Heiner 
MO ller. 
    Das Nachlassen des Interesses an Brecht wahrend der letzten 
Jahre in Japan hat m.E. nicht die gleichen Ursachen wie in Europa. 
Brecht hat in Japan noch nicht die "durchschlagende Wirkungslosigkeit

eines Klassikers" erreicht, weil er, wie schon erwa*hnt, entweder zu

oberfla*chlich-schematisch oder zu kompliziert und unverstandlich 
(teilweise wegen der unkorrekten Ubersetzung) bzw. politisch zu simpel 
gespielt wurde. Es ist bei uns noch relativ wenig bekannt, daB Brechts 
Stu*cke Nachdenken und Vergnu*gen zugleich bereiten konnen. 
    Was wir heute von Brecht lernen kbnnen und sollten, ist 
hauptsa"chlich seine Haltung. Alle Stucke Brechts entsprechen der 
jeweiligen Zeit und Situation, in der sie geschrieben wurden. Wenn man 
sie einfach so spieht, wie Brecht sie geschrieben oder aufgefuhrt hat, 
werden sie groBenteils ihre Aktualitt einb0Ben. Mir scheint es wichtig, 
die Parabelform der Stucke weiter zu entwickeln. Brecht parabolisiert in

den meisten Stucken die Probleme seiner Zeit auf genu~volle Weise. 
Aber die aktuellen Probleme, die Brecht in Parabelform aufdecken 
wollte, sind andere als unsere heutigen. Es ist notwendig, den Bezug zu 
den heutigen Problemen in der Parabelform des Originals aufzuspuren. 
Erst dann sind wir imstande, neue Parabeln im Sinne Brechts zu 
schaffen. Dabei haben wir jetzt einige Schwierigkeiten. Wir Japaner 
leben in einer Scheinprosperitit, die gewisse Folgen hat. In einigen 
Stucken hat Brecht die Armut und die dadurch verursachten 
Verhaltensweisen meisterhaft beschrieben. Unsere Generation, die im 
und nach dem Krieg alle Not erleben mutte, versteht dies, aber die 
jungere Generation kann solche Bilder nicht nachvollziehen. Die Welt 
des Mahagonny ist daher eher verstandlich, wo man alles darf, solange 
man uber Geld verfugt. Den Verlust der Menschlichkeit in der 
spatkapitalistischen Gesellschaft versteht man bei uns besser als die 
Armut, die die letzte Spur eines Menschen vertilgen kann. Dies wurde 
mir durch die Aurerung einer Oberschu"lerin schockartig klar: nach der

Lekture des Augsburger Kreidekreises sagte sie, Anna sei in der 
Erza*hlung sehr egoistisch, weil sie dem Kind die M6glichkeit zu einem 
Leben in Wohlstand versperrt habe. Nat*rlich ware sie einem solchen 
lrrtum nicht erlegen, wenn sie den Kaukasischen Kreidekreis gelesen 
h~tte, wo ein Song im Stuck deutlicher den Sachverhalt erkla.rt: 
 
                  Ginge es [das Kind] in goldenen Schuhn 
                  Trate es mir auf die Schwachen 
 
 
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