Peter Uwe Hohendahl 
 
die eine Säkularfeier auszufüllen pflegen. Es käme darauf
an, das allge- 
meine Phänomen Dichterfeier historisch wie soziologisch näher zu
be- 
stimmen, um eine Folie zu schaffen, vor der sich der besondere Fall 
Goethes oder Heines oder Wagners abhebt. Unschwer ist zu zeigen, daß

die Gedenkjahre Heines anders verliefen als diejenigen Goethes oder 
Luthers, daß sie als atypisch zu betrachten sind; doch begründen
läßt sich 
diese Hypothese erst, wenn wir eine deutlichere Vorstellung von dem 
Phänomen der Künstlerfeier gewonnen haben. Eine entwickelte Theorie

liegt nicht vor. Das hängt damit zusammen, daß eine Theorie zur
Lite- 
ratur als Institution, die zwischen dem ästhetisch-literarischen und
dem 
gesellschaftlichen Bereich vermittelt, erst in Ansätzen vorhanden ist1.

So muß ich mich auf Andeutungen beschränken. 
Die theoretische Analyse hätte drei Dimensionen zu unterscheiden. 
Die erste bezieht sich auf den Autor, die zweite auf den historischen Kon-

text und die dritte auf die Form der sozialen Aktivität. Bezogen auf
den 
Autor ist die Gedenkfeier und ihr Niederschlag in Form von Aufsätzen,

Ansprachen, Lesungen usw. Teil der Rezeptionsgeschichte des Autors2. 
Feiern sind in dieser Hinsicht als Knotenpunkte der Aneignung zu ver- 
stehen. Durch die gesteigerte Anteilnahme der Öffentlichkeit, durch
die 
institutionalisierte Aufforderung zur Stellungnahme schwillt für eine

kurze Zeit die Zahl der Ereignisse an, an denen abzulesen ist, welches 
Bild sich das Publikum und seine öffentlichen Sprecher von dem Autor

machen. Gedenkjahre sind häufig Phasen einer extensiven Rezeption. 
Ob es sich gleichzeitig um entscheidende Wendepunkte handelt, ist eine 
andere Frage. Betrachten wir die Feier als Teil der historischen Epoche,

in der sie sich abspielt, richtet sich das Interesse weniger auf das Verhältnis

zwischen Werk und Aufnahme als auf diejenigen Aspekte, in denen sich 
die Ideologie der Gesellschaft beziehungsweise ihrer einzelnen Klassen 
niederschlägt. In diesem Sinne wäre zum Beispiel die Schiller-Feier
von 
1859 als Ausdruck des nachmärzlichen Liberalismus in Deutschland 
zu lesen. Sehen wir endlich die Dichterfeier als eine besondere Weise des

sozialen Handelns, dann rückt der institutionelle Charakter einer solchen

Feier in den Mittelpunkt. In den Blick geraten die Mechanismen, mit 
deren Hilfe ein soziales System literarische und weltanschauliche Wert- 
setzungen verankert. Daß solche Feiern in der materiellen Wirklichkeit

kaum Spuren hinterlassen, besagt nichts über ihre soziale Bedeutung.

Die Feiern sind als symbolische Handlungen zu begreifen, die für das

Selbstverständnis der kulturellen Gemeinschaft bestimmend wirken. 
Künstler, Schriftsteller, Philosophen werden zu Heroen erhoben, in 
deren Namen die praktischen Interessen einer Gesellschaft formuliert 
und legitimiert werden. Der Feiernde ,erfaßt den sachlichen Gehalt

des Tradierten, indem er die Tradition auf sich und seine Situation an- 
wendet'"3. In der Gedenkfeier versichert sich die Gemeinschaft, daß

die Werte und Tugenden, die dem Heros im besonderen Maße zuge- 
schrieben werden, noch lebendig sind. 
 
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