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Und ständig müssen fast alle zusehen, wie einige zugreifen. Es
müßte 
eigentlich erstaunen, daß das so reibungslos funktioniert. Wie bewirkt

man es, daß alle andern ruhig bleiben, wenn jemand auf knappe 
Güter zugreift? Das Geld, das der, der auf knappe Güter zugreift,

zahlen muß, beruhigt den, dem nur das reine Zusehen bleibt, weil 
jenem nun das Geld knapp wird. Genau hier entstehen nun Freiheit 
und Entfremdung gleichzeitig. Denn mein Zugriff auf knappe Güter, 
der keine andere Legitimation als die Zahlung braucht, schließt alle

anderen Interessenten aus. Sie müssen nicht als Individuen respektiert

werden. 
Wenn man die Wirtschaft, wie gerade geschehen, im Blick auf 
Knappheit beobachtet, bekommt man also etwas ganz anderes zu 
sehen, als wenn man sich am Tauschgeschehen orientiert. Formelhaft 
gesagt: Der Tausch ist symbolisch--Knappheit ist diabolisch. Wer 
versucht, die Wirtschaft vom Tausch her zu begreifen, fixiert sich auf 
die Interaktionen. Der eine liefert die Ware, der andere gibt das Geld. 
Der Tausch verbindet, und andere können in ungestörtem Operieren

daran anschließen. Ein viel teuflischeres Bild von der Wirtschaft ergibt

sich, wenn man das Trennende beobachtet. Wer nicht zahlt, muß ja 
beobachten, wie ein anderer zugreift. Tauschtheoretiker vergessen 
diesen ausgeschlossenen Dritten der Transaktion, also den Zuschauer. 
Und Zuschauer, Ausgeschlossene der Wirtschaftstransaktionen sind wir 
eben fast immer. 
Darum wirst Du zum Tode verurteilt, Paule Ackermann. 
Wegen Mangel an Geld 
Was das größte Verbrechen ist 
Das auf dem Erdenrund vorkommt. (BFA 2, S. 381, Z. 35-38) 
Wer ganz durch die Maschen des Wirtschaftssystems gefallen, also 
zahlungsunfähig ist, muß auf Hilfe hoffen--oder müssen wir
sagen: 
kann auf Hilfe rechnen?  Caritas unterstellt, daß Nächstenliebe

Geldform annehmen kann. Aber Almosen und Nächstenliebe sind 
unökonomisch und irrational--denn Geld ist knapp. Tony Blair hat sich

bei seinem Regierungsantritt damit gebrüstet, niemals einem Bettler

Geld gegeben zu haben. Das ist sehr modern. Denn dem Ende der 
Mildtätigkeit entspricht der Anspruch auf organisierte, quantifizierte

Hilfe. Man hilft modern, indem man dem Bedürftigen die Stelle nennt,

die für derartige Bedürftigkeiten zuständig ist. Ich muß
im konkreten 
Fall dann nichts geben, denn, erstens, haben andere mehr Geld; und, 
zweitens, sind andere noch bedürftiger. 
Die jährliche Spende, die ich steuerlich geltend machen kann, 
schließt es natürlich nicht aus, daß ich dem armen Nachbarn
beim 
Umzug helfe oder dem Mädchen aus Rumänien ein Brötchen gebe.

Aber es ist doch klar, daß Danken, Helfen und Freundlichsein 
privatisiert sind. Kapital ist das funktionale Äquivalent von Dankbarkeit

und Hilfe. In der Öffentlichkeit genügt Geld als Inbegriff aller

menschlichen Motive. Und oft wird anderes auch gar nicht mehr 
 
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