Christian Rogowski 
 
Ausbleiben von gewalttätigen Rachemaßnahmen. Mit keinem Wort 
stellt Brecht die Behauptungen über die Greueltaten und sexuellen 
Ausschreitungen der Besatzungstruppen in Frage; wie Beveridge geht 
Brecht fraglos von Massenvergewaltigungen im besetzten Gebiet aus. 
In seiner anti-bürgerlichen Verachtung richtet sich sein Augenmerk 
vielmehr auf die vermeintliche Feigheit der deutschen Männer. 
Brecht fragt nicht nach der Bedeutung der angeblichen sexuellen 
Gewalttaten für die betroffenen Frauen. Diese kommen in seinem 
Diskurs nur als Besitztum entmännlichter deutscher Bürger vor,
als 
Objekte, die "kaputt gemacht werden." Der junge Brecht hat mithin

deutlich sexistische und rassistische Aspekte eben der bürgerlich- 
rechtsgerichteten Ideologien verinnerlicht, die er sich anschickt zu 
demontieren. 
5. "Es ist vielleicht zu früh, davon zu reden." 
Überhaupt scheint Brecht sich in seinen Dramen nie direkt mit 
dem Rassismus als Komponente völkisch-faschistischen Gedankenguts 
auseinandergesetzt zu haben. Katrin Sieg hat in Bezug auf Brechts 
grundsätzliche   schauspieltheoretische  Aufsätze    (wie 
"Verfremdungseffekte  in  der  chinesischen  Schauspielkunst")

aufgezeigt, wie sehr Brecht rassischen Diskursen verhaftet bleibt, die er

trotz seiner politisch-ideologischen Positionen nicht weiter hinterfragt.28

Dieser Befund läßt sich meines Erachtens auf Brechts dramatisches

Werk als Ganzes ausweiten: die emotionale Mobilisationskraft rassisch 
motivierter  Ängste  und   Hoffnungen,  die  quasi-religiöse 
rassenideologische   Inbrunst,     die      quasi-sexuellen 
Überlegenheitsphantasien des Herrenmenschentums, welche die 
beispiellose Massenwirkung des Nationalsozialismus mit bewirken, 
bleiben in Brechts Dramen zumeist ausgeblendet. In Die Rundköpfe 
und die Spitzköpfe (1931-36), in Furcht und Elend des Dfitten Reiches

(1938), und in Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (1941) erscheint 
der  Nationalsozialismus  primär  als  Funktion  wirtschafts-und 
machtpolitischer Machenschaften.  Die phantasmagorische und 
sexualpathologische Komponente des deutschen Rassenwahns 
hingegen bleibt weitgehend ausgespart. 
Rassenideologische Aspekte kommen eher unterschwellig in 
Brechts früheren Stücken zum Tragen, etwa in Im Dickicht der Städte

(1924) und in Mann ist Mann (1926). Der Anspruch auf Zivilisierung und 
fürsorgliche Förderung der unterdrückten Bevölkerungen,
welcher die 
koloniale Expansionsideologie gemeinhin untermauert, wird dort z.B. 
im "Kanonensong" demontiert. Die Soldaten, die "auf den Kanonen"

wohnen, bringen den fremden Rassen, denen sie begegnen, 
durchaus nicht die Segnungen der westlichen Zivilisation, sondern 
machen auf ihrem kolonialen Eroberungszug aus ihnen "Beefsteak 
Tartar." Der "Kanonensong" taucht in der Dreigroschenoper
(1928) 
wieder auf, diesmal als alkoholselige Nostalgieschwärmerei einer 
männerbündlerischen Seilschaft von ehemaligen Kolonialsoldaten

(BFA 2, S. 252). In keinem der späteren Stücke Brechts wird jedoch
das 
 
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