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als imitatio naturae definiert13: "Wie der Hurrikan es auch macht,"
so 
Paul zu Begbick, "so mache ich es. Du bekommst Geld dafür. Hier
ist 
es" (BFA 2, S. 359). Der Rest ist Geschichte: Auf der Rückseite
der von 
Paul verkündeten "Gesetze der menschlichen Glückseligkeit"
(BFA 2, 
S. 355) hält so ein ungezügelter Konsumismus Einzug in Mahagonny,

dem alles an menschlichen Beziehungen zum Opfer fällt und der am 
Ende auch physisch das "Leben" kostet, dessen Begriff die Utopie
der 
Selbst-Entgrenzung aber in emphatischer Weise beschwört. Der 
leibliche Genuß verwirklicht sich als Völlerei, die Liebe als
Prostitution 
oder allenfalls temporäres Glück; die Unterhaltungsindustrie gerät
zum 
Blendwerk der Ablenkung, Männerfreundschaft und -solidarität 
erweisen sich als Chimären. Paul selbst wird am Ende ein Opfer der 
Markt-Gesetze, die der Glücks-Stadt erst Leben eingehaucht haben, 
und büßt auf dem   elektrischen Stuhl seine Grundschuld der 
Zahlungsunfähigkeit ab--nicht allerdings ohne sich gleichsam am 
Nullpunkt seiner Hoffnungen noch vom Herold der anarchischen 
Glückserfüllung zum Kritiker des schönen Scheins zu verwandeln,
der 
seine Einsicht in das eigene Versagen als Vermächtnis für die (Über-

)Lebenden an das Publikum adressiert14; die Stadt selbst geht im 
Chaos unter. 
III. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny läßt sich vor diesem

Hintergrund, und das heißt vor allem auch vor dem Hintergrund der 
Geschichte Paul Ackermanns als eines "wahrhaft Suchenden" (so der

Chor), verstehen als eine "Passionsgeschichte zum Nullpunkt" hin,15

die Nachricht gibt vom Scheitern der Hoffnungen auf die Erfüllung 
individuellen  Lebens-Glücks und  der auf sie antwortenden 
Erlösungsversprechen der schönen neuen Welt des Kapitalismus (der

als Religionsersatz ebensowenig einen Ausweg aus der real 
existierenden Hölle bieten kann wie die Religion selbst). 
Hermes in der Stadt hingegen erzählt seine Geschichte(n) in 
Weiterführung  der  düsteren  deutschen  Alptraumszenarien 
Weltuntergang Berlin / (UA 1979) und Weltuntergang Berlin II (UA 1986) 
umgekehrt vom Nullpunkt aus. Trolles Drama beginnt dort, wo 
Brechts/Weills Oper endet: im "freien Fall." Wie ein fernes 
Wetterleuchten zeichnet sich in den Verbrechensgeschichten, aus 
denen heraus Trolle seine Stadt als Höllenvision in vier Bildern aus

chorischen Sprechformen heraus entwickelt, Brechts Botschaft von 
der Glücklosigkeit des Goldenen  Zeitalters (auch  der zum 
Zukunftsentwurf aufgeschminkten Gegengründung Mahagonny) in 
ihrer ganzen ernüchternden Brutalität ab--in der Verwirklichung
des 
Ackermannschen Glücksprinzips der Ent-Regelung im Verbrechen: 
Wohnungsüberfälle, Einbruch, Raub, Betrug, Kindesentführung,

Vergewaltigung und Mord. Hermes in der Stadt erzählt von diesen 
Verbrechen in der nüchternen Berichtsform des chorischen Rapports 
nach dem Alphabet im ersten Bild ("A, B, C, usw. oder Von den 
Dämonen, die mit uns die Städte bewohnen") und in längeren

Verbrechensgeschichten in den folgenden Stückteilen, die zeigen, 
 
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